Agile Projekte - potentiell gesünder als andere!

Wie wir besser mit unserer Zeit umgehen

von Alexander Weichselberger

Passend zum Jahresstart kommen Vorsätze immer wieder gerne ins Gespräch: „Na, wie gehst du 2015 an? Was hast du dir vorgenommen?“ An dieser Stelle trennen sich die Feedbacks leider selten in Streu und Weizen. Üblicherweise erfährt man Begeisterung für eine Sache („Ich werde mehr Sport machen.“, „Ich werde endlich das Rauchen aufgeben.“) oder Resignation („Macht eh alles keinen Sinn – die Projektleitung plant ohnehin was sie will!“). Ob erstere Vorhaben wirklich nachhaltig sind, sieht man üblicherweise nach 3 Wochen bis 6 Monaten. Was gibt es über die „Macht-eh alles- keinen-Sinn“-Seite zu sagen? Die meisten Neujahrs-Vorsätze haben etwas mit Zeit zu tun – Zeit für sich (Sport, Ausbildung, Hobbies,...), Zeit für die Familie oder einfach weniger Stress im Sinne von weniger Arbeiten.

 

Lösen wir die Frage, wie wir besser mit unserer Zeit umgehen, so lösen wir diesen Knackpunkt und haben gute Aussichten auf ein wirklich gutes, neues Jahr!

Schauen wir uns also den Aspekt eines nachhaltigen Arbeitstempos an. Ein nachhaltiges Arbeitstempo für die IT entspricht mindestens folgenden Kriterien:

  1. Die 40h-Woche als Ausgangsbasis
  2. Gezielter Einsatz von Überstunden
  3. Vermeiden von Task-Switching und „schnell mal was einschieben“
  4. Verstehen, dass Softwareentwicklung kein Sprint, sondern ein Marathon ist. Die Teams müssen durch entsprechende Planungen geschützt werden

Die 40h-Woche für die Planung des Arbeitstempos/-umfangs sollte als Ausgangsbasis ausreichend sein. Dies entspricht u.a. auch der Forderung der agile Community im Jahre 2002. [Beck2000] Natürlich gibt es immer wieder Aussagen dazu, dass diese Arbeitseinstellung in Europa lächerlich wäre: „[...] erfolgreiche Unternehmer in China arbeiten 80 oder 100 Stunden pro Woche.“ [Meyer-2012] Diese Aussagen kommen zumeist von Personen, die auch wissen: „[...] Zugegeben: Auch ich sähe besser aus, wenn ich weniger arbeiten, mehr Sport treiben und mehr schlafen würde.“ [Meyer-2012] Wie weit man gehen will/kann, sollte jeder für sich selbst entscheiden. Für andere zu planen bedeutet jedoch Verantwortung zu übernehmen und darf nichts mit übertriebener Geltungssucht zu tun haben. Nachhaltiges Arbeitstempo bedeutet nicht, dass die Teams kontinuierlich auf gleichem Arbeitsniveau weiter arbeiten – kurz vor der Ziellinie muss auch mal, im wahrsten Sinnes des Wortes, ein Sprint hingelegt werden können. Werden für die eine Woche Überstunden angeordnet, sollten sie auf keinen Fall für die folgende Woche wieder angeordnet werden müssen.

Agile Prinzipien für Optimierungen: Gerade im agilen Methodenstack werden durch eine Reihe von Grundprinzipien Werkzeuge etabliert, die ernsthafte Optimierungen zulassen:

  • Pull, statt Push: Ich hole mir Arbeit, wenn ich wieder frei bin
  • Team-Commitment: Wir stimmen Zielen zu und laufen gemeinsam dafür
  • Eigenverantwortung im Team: Wir wissen, was wir wie können und machen müssen, damit der Plan, den wir kennen, halten kann
  • Forderung nach ausschließlicher Belastung der Teams mit Entwicklungen, die „Business-Value“ schaffen
  • Flexibel für späte/kurzfristige Änderungen durch „Late-Commitment“
  • Analyse und Reduktion von Engpässen (Retrospektiven)
  • Realisierung in Inkrementen – Reduktion von Skalierungsrisiken und die Möglichkeit, kontinuierlich zu lernen

Sonst liegt ein Problem vor, dass allgemein nicht durch Leisten von Überstunden zu lösen ist. [Beck/Andres-2004] Ein weiterer Irrglaube in der heutigen Be- und Auslastung von IT-Ressourcen liegt in der Überlegung, Personen mit vielen und oft unterschiedlichen Arbeiten gleichzeitig (!) zu belasten und dabei implizit Task-Switching zu verlangen. (Hintergrund der Überlegung: Durch „schnell mal was einschieben“ Ziele erreichen). Der Blick in John Medina’s Buch „Gehirn und Erfolg“ macht’s klar: Multitasking bedeutet 50% mehr Zeit bei 50% geringerer Qualität (im Sinne von mehr Fehler!). Die gleichen Basisüberlegungen finden wir auch bei flussbasierten Sys temen, wie z.B. Kanban, wieder. Dort spricht man von „Stop starting, start finishing“ und meint, dass Begonnenes zu beenden ist, bevor man etwas Neues beginnt. Natürlich durch sogenannte Work-in-Progress-Limits („WiP-Limit“) optimiert für die jeweilige Tätigkeit oder Person.

Verfolgt man David Andersons Suche nach dem nachhaltigen Arbeitstempo, so kommt bei ihm sehr rasch die Empfehlung, Teams vor „verrückten Zeitplänen und absurden Verpflichtungen“ zu schützen. Mehr Features oder weitere Produkte zu verlangen, obwohl die Entwicklungskapazität bereits voll ausgelastet ist, ist Unsinn. [Anderson-2012] 40h-Woche, überlegte Überstunden, Multitasking vermeiden und Teams vor Übermenschlichem schützen – ist das realistisch? Nun, ich meine ja. Wir müssen verstehen, dass ein 18-Monate Projekt mehr einem Marathon als einem 100m-Lauf entspricht. Ob und wie diese und andere (agile) Aspekte zum Wohl des Teams und zu ordentlicher Wirtschaftlichkeit im Projekt oder der Abteilung führen, hängt vom Willen zur (Prozess-) Optimierung, einem klaren methodischen Vorgehen zur Analyse der Situation und einem fundierten Change-Management der Organisationen ab.

Referenzen:

[Beck/Andres-2004] – Kent Beck, Cynthia Andres, „Extreme Programming Explained“, 2004

[MEYER-2012] – http://www.welt.de/finanzen/article13863020/Unsere-40-Stunden-Woche-in-Europa-ist-laecherlich.html, 17.1.2015, 07:55

[Anderson-2012] – David Anderson, „Kanban – Evolutionäres Change Management für IT-Organisationen“, 2012

Autor
SEQIS Autor Alexander Weichselberger

Alexander Weichselberger

Managing Partner

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