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SEQIS testet die Zukunft

von Alexander Vukovic

Samstag, pünktlich um 7:30 starten wir von der Autobahn Raststation Alland Richtung Westen. Wir, das sind Alexander Weichselberger (weixi) und ich, zwei passionierte Tester und gleichzeitig zwei leidenschaftliche Motorradfahrer. Unser Ziel liegt in Bad Leonfelden bei der Firma Johammer e-mobility GmbH (www.johammer.com).

 

Johammer J1
Das Objekt der Begierde (© Johammer e-mobility GmbH)

Das Objekt der Begierde: Der Johammer J1, ein futuristisch designtes Elektromotorrad mit einer Reichweite von 200+ Kilometern.

Bereits bei der Hinfahrt diskutieren wir gespannt, was uns erwarten wird. Fragen wie z.B.: Wie wird der Krafteinsatz geregelt? Wie die Rekuperation, also die Rückgewinnung der Bremsenergie erfolgen könnte? Und wie das alles in ein Elektromotorrad passen und uns dann noch nebenbei einen Grinser ins Gesicht zaubern soll? Um uns wirklich eine Meinung bilden zu können, haben wir eine geführte Tour durch das schöne Mühlviertel gebucht und schon auf Höhe Linz zeigt sich, dass uns auch das Wetter wohlgesonnen ist. Georg, unser Tourguide empfängt uns herzlich am Firmengelände von Johammer, Sitz von Hammerschmied Experimenteller Maschinenbau und eben vom Johammer e-Mobility Spin-Off. Bei einem Frühstückskaffee erledigen wir die Formalitäten und erfahren mehr über die Firmengeschichte und die Geschichte des Johammer J1.

Rahmenkonstruktion (© Johammer e-mobility GmbH)
Rahmenkonstruktion (© Johammer e-mobility GmbH)

Kurz zusammengefasst haben sich ein paar Ingenieure rund um Johann Hammerschmied gedacht, ein Elektromotorrad wär’s und wenn dann gleich ein Gescheites. Gesagt getan, die Idee des Johammer war geboren. Über viele Iterationen hinweg wurde der Johammer J1 von Grund auf konstruiert und zur Serienreife verfeinert. Der unbeeinflusste Zugang zum Thema Motorrad spiegelt sich in jedem Detail der Konstruktion des Johammers wieder. So wurde die Batterie als schwerstes und zentrales Element in der Mitte positioniert. Der Motor wurde dorthin verlegt, wo er den kürzesten Weg und die geringsten Verluste hat, nämlich direkt auf das Rad.

Vorderachskonstruktion (© Johammer e-mobility GmbH)
Vorderachskonstruktion (© Johammer e-mobility GmbH)

Und dann diese Vorderachskonstruktion. Der Johammer hat keine normale Gabel sondern eine sogenannte „Zweiarm-Kastenprofilschwinge mit parallel angeordneter Bremsmomentenschwinge“ und das „verhindert Bremsnicken mit progressiver Dämpferanlenkung“.

Wir sind gespannt, vor allem darauf, wie gelenkt wird. Die beiden Stummel des Lenkers lenken eine Lenkstange an, diese wiederum lenkt das Vorderrad, das auf einer fixen Achse mit einem Kugelgelenk nach links und rechts gedreht werden kann. Aha :-), wir staunen und wundern uns über die unkonventionellen Zugänge. Wird spannend, wie sich das Ding fährt.

Bei einer kurzen Führung durch die Fabrikhalle sehen wir Johammer in jedem Fertigungszustand. Der Johammer ist (noch) kein Massenprodukt, große Teile werden per Hand gefertigt. Jeder Johammer ist ein handgemachtes Einzelstück, das individuell angepasst werden kann.

Nun geht’s endlich los, wir ziehen uns die Sicherheitskluft an, während Georg einen Einschulungsparcours am Parkplatz vor der Halle aufbaut. Ähnlich wie in der Fahrschule üben wir Achterfahren, Zielbremsung und Slalom. Ich bin froh, dass wir nicht direkt auf die Landstraße starten, wer weiß wie das Ding lenkt? Während der ersten Runde verfliegen meine Zweifel aber sehr schnell. Der Johammer lenkt berechenbar und stabil ein, wie jedes Motorrad. Der Motor ist so gesteuert, dass er nicht mit der gesamten Kraft auf den Fahrer einschlägt, sondern sanft die Beschleunigung steigert.

Auch weixi ist schon fleißig unterwegs und das, was er macht, sieht deutlich sicherer aus, als meine ersten Gehversuche.

Was ich wirklich toll fand, ist die Art und Weise, wie die Stärke der Motorbremse, die Rekuperation, gesteuert werden kann. Johammer hat das so gelöst, dass dafür nicht die Bremse gezogen werden muss, sondern man lässt den Gas- äh...Stromdrehgriff zurück in die Nullstellung und drückt ihn über den Nullpunkt hinaus noch etwas nach vorne. Damit bremst man – und zwar so gut, dass die eigentliche Bremse im normalen Verkehr und bei vorausschauendem Fahren nur zum Stehenbleiben zum Einsatz kommt. Ein spannendes Detail zur Bremse ist die fehlende Fußbremse. Diese ist zur linken Hand, an Stelle des Kupplungshebels, gewandert.

Kupplung braucht man keine, weil der Elektromotor ohne Gänge mit seinem Drehzahlspektrum das gesamte Geschwindigkeitsband bis zur Abriegelung bei 120 km/h abdeckt. Die Achter werden immer runder, die Zielbremsung nur mit Rekuperation klappt super, wir fühlen uns reif für das Mühlviertel und Georg attestiert uns die Landstraßenreife. Auf der Landstraße dann die Überraschung: Der Johammer J1 ist ein wirklich bequemes Tourenmotorrad. Für mich hat sich die Sitzposition mit den vorderen Fußrasten, als die bequemste erwiesen. Der Knieschluss ist dann eher wie bei einem Chopper, aber der Johammer ist auch keine Rennmaschine, um in der kalten Kuchl die KTM SuperMotos herzubrennen. Die hinteren Fußrasten waren für mich einen Tick zu weit oben und eher unbequem. Diese können aber angepasst und nach unten verlegt werden.

Wunderschöne Landschaften und rund 120 km später machen wir einen Zwischenstopp bei einer Tankstelle mit einem guten Restaurant daneben. Glücklicherweise bietet das Restaurant auch eine Elektrotankstelle und schon waren unsere Johammer am Strom. Nachdem wir im Gastgarten Platz genommen haben, kamen noch jede Menge andere Biker mit wirklich tollen Bikes. Die 3 E-Bikes sind richtige Anziehungspunkte und gleich wurde Georg in ein Gespräch verwickelt und hat gefühlte 50 Mal die wichtigsten Fragen beantwortet:

  • Wie hoch ist die Reichweite circa? Mindestens 200 km.
  • Was kostet der Johammer J1? Ab 23.000 Euro.

Schon bei der ersten Preisinfo denke ich mir: „23.000 Euro sind kein Schnäppchen“ – so geht es auch vielen, die gefragt haben. Aber dazu später mehr. Kontaktfreudig und nicht schüchtern sollte man als Johammer-Fahrer jedenfalls sein. Man erregt Aufmerksamkeit am Stand, aber auch beim Fahren, wenn man an ungläubigen Passanten vorbeisurrt, Fahrradfahrer erschreckt indem man sie plötzlich überholt oder wenn man an der Ampel steht. Das Fahrgeräusch harmoniert perfekt mit dem hummelartigen Design. Der Motor macht ein lautes Summgeräusch, man wird also trotzdem noch gehört, wenn man sich nicht allzu schnell nähert.

Nach einer einstündigen Pause, gefüllt mit gutem Essen und vielen Gesprächen mit anderen Gästen, machen wir uns auf den Weg zurück. Georg wählt wieder eine sehr schöne Strecke mit Wald, Bergen, Tälern und schönen Landschaften. Kurz vor Bad Leonfelden fahren wir noch mehrere Serpentinen zu einem schönen Aussichtspunkt und ich habe die Gelegenheit mein Leistungsgewicht in Kombination mit der Leistungsfähigkeit des Johammers zu testen. Den Stromgriff fast nur am Anschlag, kommt der Gedanke, dass der Johammer ruhig noch ein paar Pferde mehr vertragen könnte. Aber, und das ist das große Aber zur Leistungsfähigkeit, braucht man mehr um entspannt zu cruisen? Mein Conclusio am Aussichtspunkt: Nein.

Bei einem kurzen Sightseeing-Zwischenstopp in Bad Leonfelden inspizieren wir die digitalen Anzeigen genauer. Der Johammer besitzt keine herkömmlichen Instrumente, alle wichtigen Informationen werden in den Rückspiegeln dargestellt. Über das Menü kann der Johammer programmiert als auch konfiguriert werden und zeigt Ladezustand, Reichweite, Geschwindigkeit usw. an. Von vorne sind die Spiegel mit spacigen LEDs beleuchtet, quasi die Fühler der Hummel.

1. Johammer-Prototyp
Johammer-Prototyp (© Johammer e-mobility GmbH)

Nach unserer Rückkehr ins samstäglich verlassene Firmenzentrum parken wir unsere Johammer wieder in ihrer Halle. „Wie lange ladet der nun, bis er wieder voll ist?“, fragt weixi und Georg, als lebendes Johammer-Prospekt, antwortet prompt: „3,5 Stunden für eine volle Ladung und 80 Minuten mit dem optionalen Schnelllader.“ „Wow“, denke ich! Georg gibt uns noch einen Ausblick auf weitere Entwicklungen. So soll es in naher Zukunft eine stärkere Variante geben. Es wird daran gearbeitet, den Johammer im Winter als zusätzlichen Stromspeicher für die Photovoltaik-Anlage zu nutzen und auch an einer APP wird gefeilt. Auch über eine Seitenwagenvariante wird gerade nachgedacht. Wir verlassen unsere Johammer mit einem Grinser im Gesicht.

So viel Innovation und Kreativität hätten wir nicht erwartet. Wie wird der Johammer wohl gestartet/entsperrt? Klar, mittels NFC-Armband. So stört kein Schlüsselloch das wunderschöne Design. Der Johammer J1 hat uns unheimlich viel Spaß bereitet und ist in seiner Einzigartigkeit ein faszinierendes Stück Technik made in Austria. Einziger Wermutstropfen ist der Preis – wir fangen schon mal zu sparen an. :-)

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