Gestaltung braucht Ideen. Aber woher kommen sie?

Software-Entwicklung ist Gestaltung. Das war sie immer – auch schon zu Zeiten der Lochkarten. In unserer heutigen Zeit hat diese Gestaltung eine völlig neue Qualität gewonnen. Es geht nicht mehr bloß darum, einzelne betriebliche Prozesse in Unternehmen durch IT zu unterstützen. Die Gestaltung in der IT betrifft vielmehr zahlreiche Bereiche des alltäglichen Lebens – und geht auch über die reine Software-Entwicklung hinaus. Diese Ausweitung des Anwendungsbereiches wird oft mit dem Wort „Digitalisierung“ gekennzeichnet.

Wir finden in der IT unzählige Berufsbezeichnungen und Job-Titles: Entwickler, Architekt, Tester, Analytiker, Requirements Engineer, Projekt Manager und viele mehr. Welche davon in welchem Maße für die Gestaltung zuständig sind, ist da oft nicht klar. Eine Bitkom-Taskforce nahm sich dieser Problematik an. Als greifbares Ergebnis wurde das Digital-Design-Manifest veröffentlicht.

Wurde bislang das Erheben und Verwalten von Anforderungen ins Zentrum der Überlegungen gestellt, was die Aktivitäten vor der eigentlichen Programmierung betrifft, so stellt das Digital-Design-Manifest die Gestaltung selbst in den Mittelpunkt. Mit dem Digital Designer wird auch ein Berufsbild skizziert, bei dem die Zuständigkeit für diese Gestaltungsaufgabe liegt.

Was aber ist Gestaltung in der IT konkret?

  • Ist es die Einhaltung eines vorgegebenen Prozesses?
  • Ist es die Erstellung bestimmter vorgegebener Dokumente?
  • Ist es das Niederschreiben der Anforderungen von Auftraggebern und Nutzern?

Alles das spielt natürlich eine Rolle. Im Kern ist Gestaltung aber zunächst ein geistiger Prozess – ein Prozess, der sich primär im Gehirn des Gestalters abspielt. Also solcher entzieht er sich strikten Prozess-Vorgaben. Auch die Anwendung von Methoden und Werkzeugen hilft nur bedingt bei diesem geistigen Prozess.

Digital Designer kombinieren die gegebene IT-Technologie – das „Digitale Material“ – bzw. wenden sie so an, dass Neues entsteht. Je nachdem kann dieses „Neue“ ein völlig neues Geschäftsmodell sein („Digitalization“) oder es kann ein IT-System sein, das ein bestehendes Geschäftsmodell unterstützt („Digitization“).

In jedem Fall besteht diese Gestaltung aus zwei Elementen:

  • Das gestaltbare Material: das ist die IT-Technologie. Je nach Projekt kann die Hardware gemeint sein oder auch ausschließlich Software-Komponenten, wie Entwicklungswerkzeuge, Datenbank-Systeme und dergleichen.
  • Die Tätigkeit des Gestaltens.

Das Digital-Design-Manifest zieht Parallelen zur Architektur bzw. zur Baubranche. Der Unterschied besteht dabei vor allem im gestaltbaren Material. Im Bau sind es im Wesentlichen die verschiedenen Baumaterialien, die Gesetze der Bauphysik und der Statik, die Gegenstand der Gestaltung sind. Dem gegenüber haben wir es in der IT mit Hardware, Entwicklungssoftware, Datenbanken, Algorithmen zu tun.

Das zweite Element, die Tätigkeit des Gestaltens, ist in beiden Bereichen identisch. Die Grundlage des Gestaltens sind Konzepte. Und Konzepte basieren wiederum auf Ideen – Ideen, wie das gestaltbare Material kombiniert werden kann, um neue Lösungen zu schaffen.

Der Prozess der Gestaltungstätigkeit, das Generieren von Ideen, ist der Schwerpunkt dieses Artikels. Also, was macht ein Digital Designer, wenn er gestaltet? Wie entstehen die Ideen, die zu Lösungen führen? Dadurch sollen die Aussagen des Digital-Design-Manifests konkretisiert werden.

Kreativität und Ideen

Digital Design braucht Ideen, genauso wie die Baubranche. Darüber hinaus beschäftigen sich viele andere Professionen mit dem Lösen von Problemen – wofür sie ebenso auf Ideen angewiesen sind.

Die Fähigkeit, Ideen hervorzubringen, wird Kreativität genannt.

Was bedeutet das für das Digital-Design-Manifest und für den Digital Designer? Was bedeutet es für all die anderen Berufe, die gestalten bzw. die auf Ideen angewiesen sind?

Soll Kreativität in einem Ausbildungsplan enthalten sein? Kann man Kreativität lernen? Gibt es einen Prozess, an dessen Ende Ideen herauspurzeln?

Das vielleicht älteste Zeugnis, wie problemlösende Kreativität funktioniert, ist über 2000 Jahre alt. Es handelt vom griechischen Mathematiker Archimedes von Syrakus.

Die Legende sagt: König Hieron II von Syrakus hatte seinen Goldschmied im Verdacht, in seine goldene Krone zu viel Silber beigemengt zu haben. Deshalb stellte der König dem Archimedes die Aufgabe, herauszufinden, wie viel Silber in der Goldkrone ist. Vermutlich hat Archimedes lange in seiner Stube darüber gegrübelt, wie er diese Aufgabe lösen könne. Wahrscheinlich wollte er sich dann eine Pause gönnen und entspannen. Er hat ein Bad genommen. Und als er dabei bemerkt hat, dass aus seiner Badewanne Wasser ausfließt, wenn er sich hineinsetzt, ist ihm dieser Geistesblitz gekommen, den wir heute das „Archimedische Prinzip“ nennen. Aus dem Verhältnis der Menge des verdrängten Wassers und dem Gewicht des betreffenden Gegenstandes lässt sich auf das Material schließen. Archimedes soll sich darüber so gefreut haben, dass er aus seiner Wanne herausgesprungen ist – und nackt, laut „Heureka“ rufend - durch die Straßen gelaufen sein.

Was hat diese schöne Geschichte nun mit Digital Design zu tun? Archimedes benötigte dringend eine Idee – ebenso wie der Digital Designer Ideen für seine Gestaltungsaufgabe braucht.

Das Prinzip der Kreativität, die Inhalt dieser Geschichte ist, wurde viele Jahrhunderte später von Wissenschaftlern aufgegriffen und zu einer Theorie der Kreativität geformt.

… during the slow ascent of wooded hills …

Einer dieser Wissenschaftler war Graham Wallas, ein britischer Sozialpsychologe und Mitbegründer der London School of Economics. Im Jahr 1926 erschien sein Buch „The Art of Thought“. In diesem fasst er Beobachtungen des deutschen Physikers Hermann von Helmholtz und des französischen Mathematikers Henri Poincaré zu einer systematischen Theorie des kreativen Denkens zusammen.

Graham Wallas zitiert eine Rede von Hermann von Helmholtz anlässlich dessen 70. Geburtstags. In dieser Rede beschreibt er unter anderem, wie die Ideen, auf denen seine Arbeit als Physiker beruht, entstehen. Helmholtz sagt, die Ideen kämen praktisch nie, wenn er an seinem Schreibtisch sitzt und arbeitet, sondern sehr häufig „during the slow ascent of wooded hills on a sunny day“. Die Parallele zu der Archimedes-Geschichte ist offensichtlich: So wie dem Archimedes seine Idee zum Archimedischen Prinzip beim Baden gekommen ist, so entstehen die Ideen des Hermann von Helmholtz bei Waldspaziergängen.

Aus dieser Aussage von Hermann von Helmholtz und ähnlichen Erfahrungen von Henri Poincaré formt nun Graham Wallas seine Theorie. Diese besagt, dass der kreative Prozess aus vier Schritten besteht:

  • Präparation: Hier beschäftigt man sich intensiv mit dem Problem, man sammelt Informationen, baut Wissen auf. Auch Archimedes wird wohl viel darüber nachgedacht haben, wie er denn feststellen könne, ob die Krone des Königs wirklich aus purem Gold ist. Auf diese Phase folgt die
  • Inkubation: In dieser Phase lässt man all die Informationen, die in der Präparationsphase gesammelt hat, setzen. Man tut nichts – entspannt – beschäftigt sich mit etwas anderem. Wenn man Archimedes ist, geht man vielleicht ins Bad. Das Gehirn arbeitet trotzdem. Es kann nicht nichts tun.
  • Illumination: Da kommt jetzt das „Heureka“ des Archimedes – der Geistesblitz. Das Unterbewusstsein hat seine Arbeit getan. Die Elemente, die wir uns in der Präparationsphase angeeignet haben, wurden neu zusammengefügt – und die Lösung tritt ins Bewusstsein.
  • Verifikation: Geistesblitze gibt es (vielleicht) viele. Die Idee muss sich aber bewähren. Vieles passiert sicher noch durch den „Nachdenkenden“ selbst. Vieles wird aber erst auch bei der Konfrontation mit der Realität bestätigt – oder auch verworfen – werden. So wird auch Archimedes zurück in seine Studierstube geeilt sein – nackt, wie die Legende sagt – und seinen Geistesblitz durch Experimente überprüft haben.

… the cold, gray dawn of the morning after …

Ein anderer, der sich mit der Produktion von Ideen beschäftigt hat, war James Webb Young. Sein Hintergrund sind der Verkauf und die Werbung. Auch in diesen Bereichen ist man auf Ideen angewiesen. In seinem Buch „A Technique for Producing Ideas“ von 1960 bezieht er sich ausdrücklich auf Graham Wallas und seine vier Schritte des Kreativitätsprozesses. Und doch setzt er auch interessante neue Akzente.

Den ersten Schritt von Graham Wallas – die Präparation – teilt James Webb Young in zwei Schritte auf:

  • die Sammlung des Rohmaterials
  • die Verarbeitung des Rohmaterials.

Interessant ist, dass hier bereits der Begriff des „Materials“, das die Grundlage für Ideen bildet, verwendet wird – genauso wie im Digital Design Manifest. 

Besonders bildlich beschreibt James Webb Young auch den fünften Schritt. Es ist das die Phase nach dem – möglicherweise – euphorisierenden Geistesblitz. Nun muss die Idee ausgearbeitet werden, Menschen müssen davon überzeugt werden, es beginnt die mühsame Umsetzung und Detailarbeit. Young gebraucht dafür die Wendung „the cold, gray dawn of the morning after“. Etwas, das vielleicht auch schon Archimedes nach seinem „Heureka“-Moment erlebt hat.

Neben seinen fünf Schritten formuliert James Webb Young in seiner Kreativitätstheorie zwei Prinzipien:

  • Eine neue Idee ist nichts anderes als eine Kombination alter, bereits bestehender Elemente. Das wusste etwa auch Steve Jobs, der einmal sagte: „Creativity is just connecting things“.
  • Die Fähigkeit, alte Elemente zu neuen Ideen zu verbinden, hängt von der Fähigkeit ab, Beziehungen zwischen Dingen zu sehen.

Weitere Autoren bauen auf dem von Graham Wallas formulierten Kreativitätsprozess auf. Hier sei noch Mihaly Csikszentmihalyi erwähnt. Er ist vor allem bekannt geworden durch die Erfindung des Flow-Prinzips – jenes Zustands, in dem man sich wirklich wohlfühlt, in dem alles leicht von der Hand geht – entweder in einer Freizeitaktivität oder auch in einer beruflichen. Aber er hat sich auch mit dem Kreativitätsprozess beschäftigt.

Auch der von ihm formulierte Prozess ist dem des Graham Wallas sehr ähnlich. Der Unterschied besteht im Wesentlichen darin, dass der vierte Schritt, die Verifikation, in zwei Schritte aufgeteilt ist: in den Schritt der „Bewertung“, in dem die Idee überprüft wird, ob sie wirklich zur Lösung führt, und in den Schritt der „Ausarbeitung“, in dem die Idee so ausformuliert wird, dass sie letztlich auch umgesetzt werden kann.

Zusammenfassend lässt sich über alle obigen Kreativitätstheorien sagen: Man muss sich zunächst intensiv mit der Materie beschäftigen, danach muss man das Problem mit seinen Informationen im Unterbewusstsein wirken lassen, so bildet sich – im Unterbewussten – die Lösung, die an die Oberfläche des Bewusstseins tritt. Und schließlich muss die Idee geprüft und ausgearbeitet werden.

Anwendung im Digital Design

In der Praxis wird häufig als Gestaltungstätigkeit lediglich die Zeit gesehen, die für das Sammeln und Dokumentieren von Anforderungen benötigt wird. Oder die Gestaltungstätigkeit wird mit Schreiben von User-Stories gleichgesetzt. Die Realität ist aber: Wenn die User-Story geschrieben wird, ist die Gestaltung zum allergrößten Teil schon passiert. Die User-Story ist dann nur mehr das Instrument, das Ergebnis an die Umsetzung weiterzugeben.

Die eigentliche Gestaltungstätigkeit ist das kreative Denken, das Finden von Ideen, wie das Digitale Material zur Lösung verarbeitet werden kann. Der Ablauf dieser Ideengenerierung ist ein Prozess, dessen allgemeiner Ablauf oben beschrieben wurde. Wie dieser Prozess konkret auf das Digital Design angewendet werden kann, das wird im Folgenden ausgeführt.

In Anlehnung an die auf Graham Wallas zurückgehenden Kreativitätstheorien wird in Folge der Gestaltungsprozess in vier Schritten beschrieben.

Der Wissensaufbau

Das Um und Auf ist die Kenntnis sowohl des Digitalen Materials als auch der jeweiligen Fachdomäne.

Ohne Kenntnis des Materials kann keine Lösung gefunden werden. Das gilt genauso für die Baubranche wie für die IT. Es ist nicht möglich, Experte für alle Bereiche der IT zu sein, von der Hardware bis hin zu den Prinzipien des Datenbank-Designs. Das ist aber kein Problem, weil ohnehin nie das gesamte Spektrum der Technik Gegenstand eines konkreten Vorhabens ist. Wenn z.B. die Aufgabe ist, ein spezielles Billingsystem zu gestalten, sind wohl nur selten Kenntnisse über Virtual Reality erforderlich. Wohl aber sind prinzipielle Programmierkenntnisse und Wissen über das verwendete Datenbanksystem hilfreich, ja notwendig. Für andere Aufgaben liegen die erforderlichen Schwerpunkte wieder auf anderen Bereichen des Digitalen Materials.

Der Ausschnitt aus dem gesamten Spektrum des Digitalen Materials, der für den Digitalen Designer relevant ist, ist also vom jeweiligen Vorhaben abhängig.

Aber das Wissen über das Digitale Material allein ist zu wenig. Entscheidend ist, dass es auf die konkrete Lösung angewandt wird.

Der Digital Designer muss auch Wissen über die jeweilige Fachdomäne mitbringen oder im Zuge des Gestaltungsprozesses aufbauen. Nur mit diesem Wissen kann das zu lösende Problem von Grund auf verstanden werden. Nur so ist es auch möglich, mit den Fachexperten auf Augenhöhe zu sprechen – und die Anforderungen ihrem Wesen nach zu verstehen.

In seltenen, besonders einfachen Fällen liegen die Lösung und die Gestalt des Ziel-Systems auf der Hand bzw. wird vom Auftraggeber bereits exakt vorgegeben. In allen anderen Fällen ist ein kreativer Nachdenkprozess erforderlich. Sei es, weil vor dem Prozess unklar ist, wie das Problem zu lösen ist. Sei es, weil es verschiedene Alternativen gibt, die jeweils ihre Vor- und Nachteile haben, die gegeneinander abzuwägen sind. Sei es, weil man mit einander widersprechenden Anforderungen konfrontiert ist.

In diese Phase fällt auch die Erhebung der Anforderungen. Im Gegensatz zu einem anforderungsorientieren Ansatz müssen diese aber bei einem gestaltungsorientierten nicht vollständig sein. Die Funktionalität der neuen Lösung muss grob umschrieben sein. Die Details stellen sich erst im Laufe des Gestaltungsprozesses heraus.

Instrumente in dieser Phase des Kreativitätsprozesses sind insbesondere:

  • Interviews mit Wissensträgern
  • Workshops, in denen mit mehreren Stakeholdern das Ziel des Vorhabens diskutiert wird
  • Literaturstudium: sowohl von Dokumenten über das zu bearbeitende Fachgebiet als auch über das anzuwendende Digitale Material
  • Für die Dokumentation des Ist-Zustandes kommen Modellierungswerkzeuge zur Anwendung.

Manchmal führen die Überlegungen in dieser Phase schon direkt zum Ziel. Viel häufiger aber stellt sich die richtige Idee nicht ein. Die Gedanken drehen sich im Kreis, Frustration macht sich breit. Jetzt wird es Zeit für die zweite Phase des Kreativitätsprozesses.

Die Stunde des Unterbewusstseins

In dieser Zeit der scheinbaren Ausweglosigkeit muss das Problem losgelassen werden. Archimedes ist ins Bad gegangen. Hermann von Helmholtz hat Waldspaziergänge gemacht. Diesem gleichen Muster folgen wir auch, wenn wir sagen: „Da muss ich darüber schlafen“. Das alles klingt nicht nach Arbeit – und doch ist das vielleicht die produktivste Phase im Ideenfindungsprozess.

Natürlich lässt es unser Arbeitsalltag selten zu, einfach (scheinbar) nichts zu tun. Aber das ist auch gar nicht notwendig. Es geht darum, das aktuelle Problem loszulassen. Das kann durchaus auch dadurch geschehen, dass man sich einem anderen Problem zuwendet, eine andere – sinnvolle – Tätigkeit ausführt. Es muss nicht immer ein Waldspaziergang sein. Es geht um den Abstand vom zu bearbeitenden Problem. Das Unterbewusstsein ist weiterhin auf Lösungssuche.

Darüber hinaus lässt es sich nicht vermeiden, dass das Gehirn auch in der Freizeit an einem Problem arbeitet. Die meiste Zeit merkt das der Gestalter auch nicht. Aber es gibt dann doch auch die Momente, wo die Ideen an die Oberfläche drängen – auch wenn das nicht in der bezahlten Arbeitszeit ist. Man tut gut daran, das zuzulassen – das ist eben der Preis dafür, einen spannenden Beruf zu haben.

Der Geistesblitz

Irgendwann hat das Unterbewusstsein seine Arbeit getan. Es wird sich mit der Lösung melden. Nicht immer erfolgt das durch einen plötzlichen Geistesblitz, wie in der schönen Geschichte von Archimedes. Manchmal geschieht das Offenbar-Werden der Lösung auch in einem langsamen Prozess, so als würde sich der Nebel langsam lichten. Immer mehr Details werden klar. Die Puzzleteile fügen sich zusammen, zuerst vielleicht der Kern der Datenstruktur, dann die Prozesse und die Benutzeroberfläche. Oder auch in einer anderen Reihenfolge. Es ist zweckmäßig, Zwischenstände in diesem Klärungsprozess festzuhalten. Das muss aber in einer möglichst formlosen Struktur erfolgen, um die Kreativität nicht einzuschränken.

Für den Digital Designer ist das die befriedigendste Phase im Gestaltungsprozess.

Die mühsame Detailarbeit

Doch nun beginnt der mühsame Teil der Arbeit. Die Lösung muss beschrieben werden, sodass sie auch kommuniziert werden kann. Stakeholder müssen überzeugt werden. Das alles ist oft mühsam und wenig spannend, wo doch „die Lösung jetzt eh schon gefunden ist“. Deshalb beschreibt James Webb Young diese Phase auch mit dem bildhaften Satz „the cold, gray dawn of the morning after“. Aber auch da muss der Digital Designer durch.

Mihaly Csikszentmihalyi macht aus diesem einen Schritt zwei Schritte: die Bewertung und die Ausarbeitung. Diese Teilung macht auch im Digital Design Sinn. Wobei die beiden Schritte jedoch nicht vollständig voneinander getrennt werden können. Die Bewertung muss teilweise durch die Stakeholder erfolgen. Damit diese dazu in der Lage sind, muss die Idee in ihren Grundzügen bereits ausgearbeitet sein. Andererseits kann die endgültige Ausarbeitung erst nach positiver Bewertung erstellt werden.

Für die Beschreibung der Idee stehen verschiedene Methoden zur Verfügung. Sehr häufig ist freier Text das Mittel der Wahl. Ergänzung oder Alternative sind Modelle. Dabei ist es nicht wesentlich, sich an eine bestimmte Syntax zu halten. Wichtig ist es, den Inhalt der Idee wiederzugeben.

Fünf Ratschläge für Gestalter

Aus dem bisher Gesagten lassen sich folgende praktische Ratschläge für den Gestalter ableiten:

  1. Beschäftigen Sie sich intensiv sowohl mit der Fachdomäne als auch mit dem Digitalen Material, das für die Gestaltung zur Verfügung steht.
  2. Erzwingen Sie nichts. Wenn sich die Lösung durch die Beschäftigung mit dem Problem nicht einstellt, legen Sie das Problem zur Seite.
  3. Geben Sie Ihrem Unterbewusstsein Zeit zur Lösungsfindung.
  4. Nehmen Sie die Signale des Unterbewusstseins bewusst wahr – egal, wann und wo sie auftreten. Und halten Sie immer einen Stift bereit.
  5. Bewerten und dokumentieren Sie die Lösung, sobald Sie offenbar geworden ist.

Fazit

Das Digital Design Manifest stellt die Gestaltung in Software-Entwicklungsprojekten in den Mittelpunkt. Analog zum Bauwesen wird die IT-Technologie als Material gesehen, das es zu gestalten gilt. Gestaltung ist ein geistiger Prozess, in dem mit Kreativität und Ideen eine Lösung konzipiert wird.

Der Prozess der Ideenfindung ist dabei nichts Spezifisches in der IT. Überall wo Ideen benötigt werden, folgt deren Generierung den gleichen Prinzipien. Diese Prinzipien sind seit langem bekannt und wurden von verschiedenen Autoren beschrieben.

In diesem Artikel wurde dargestellt, wie der etwa von Graham Wallas beschriebene Kreativitätsprozess auf das Digital Design angewendet werden kann.

Quellen und weiterführende Informationen: 

Csikszentmihalyi, Mihaly: Kreativität, Stuttgart 1997

Wallas, Graham: The Art of Thought, New York 1926

Young, James Webb: A Technique for Producing Ideas, New York 2003

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