Nachhaltigkeit in der Software Entwicklung

von Klemens Loschy

Was versteht man eigentlich unter Nachhaltigkeit?

Wie immer hat Wikipedia eine (oder sogar mehr, vielleicht sogar richtige oder zumindest passende) Antwort parat: Nachhaltigkeit ist ein Handlungsprinzip bei der Nutzung von Ressourcen. Hierbei soll eine dauerhafte Bedürfnisbefriedigung gewährleistet werden, indem die natürliche Regenerationsfähigkeit der beteiligten Systeme bewahrt wird, vor allem von Lebewesen und Ökosystemen. Das liest sich etwas sperrig und wenig IT bezogen... Wenn man dann weiterliest: Im entsprechenden englischen Wort sustainable ist dieses Prinzip wörtlich erkennbar: to sustain im Sinne von „aushalten“ bzw. „ertragen“. Mit anderen Worten: Die beteiligten Systeme können ein bestimmtes Maß an Ressourcennutzung „dauerhaft aushalten“, ohne Schaden zu nehmen. Der Definition kann ich was abgewinnen, aber aus meiner Sicht ist das für die IT nicht (ganz) zutreffend: in der IT geht es nicht darum bzw. darf es nicht nur darum gehen, ein „Maß an Ressourcennutzung dauerhaft auszuhalten“, das bekommen wir in der IT mittlerweile gut hin: „das erschlagen wir mit Blech“ ist seit mittlerweile vielen vielen Jahren eine gängige „Strategie“, wenn Systeme dieses Maß an Ressourcennutzung eben nicht aushalten. Danach folgen eine Reihe von Interpretationen und Definitionen aus verschiedenen Kreisen der Gesellschaft, Politik und Wirtschaft. Später folgen dann noch drei Schlagwörter, die aus meiner Sicht dann aber gut passen (wenn auch nicht unbedingt deren Erklärung): Suffizienz, Effizienz, Konsistenz (wobei sich mir „Konsistenz“ und dessen Erklärung nicht wirklich erläutern).

OK, Wikipedia wie es leibt und lebt. Aber wir sind ja im AI Zeitalter angekommen, was behauptet ChatGPT (V4), wenn man konkret nach „Nachhaltigkeit in der IT“ fragt? ChatGPT ist der Meinung, dass es dabei um Energieeffizienz, Ressourcenschonung, Grüne Softwareentwicklung (wobei das ebenfalls wieder Richtung Ressourcenschonung geht), umweltfreundliche IT-Infrastruktur (quasi wieder Ressourcenschonung), nachhaltige Lieferketten (in denen Ressourcen geschont werden), soziale Nachhaltigkeit. Immerhin ein neuer Aspekt: soziale Nachhaltigkeit, sonst mehr oder weniger doch auch wieder dasselbe...

Nachhaltigkeit @ razzfazz.io

Vielleicht ist es zu viel verlangt, auf eine anerkannte und allgemein gültige Definition von Nachhaltigkeit aufbauen zu können. Es fühlt sich in etwa so an wie Diskussionen zu Softwaretesting vor ~20 Jahren: da gabs ein paar Typen, die irgendwas von „Qualität“, „Testen ist wichtig“ oder sogar „Softwaretest ist cool“ erzählt haben und nur wenige haben das so richtig verstanden, was das bringen soll. Viel Arbeit, Zeit und Überzeugungsaufwand war notwendig, um die Wichtigkeit dieser Themen nachhaltig in der IT zu verankern, und sogar heute, 20 Jahre später, trifft man immer noch Menschen und Unternehmen, die mit Themen wie Qualität und Testen so überhaupt nichts oder nur wenig anfangen können.

Abbildung: (SEQIS Messestand aus dem Jahr 2007 - SEQIS GmbH)

Also beschreibe ich meine bzw. die Sicht von razzfazz.io zum Thema Nachhaltigkeit in der Software Entwicklung: Suffizienz subsumiert das als Überbegriff aus meiner Sicht sehr gut und kann man auf sehr viele Bereiche und Tätigkeiten in der Software Entwicklung anwenden. Suffizienz heißt, Material und Energie zu sparen - das hört sich doch schon mal nachhaltig an. Dabei geht es gar nicht nur um technische Ressourcen, auch der Mensch/Mitarbeiter ist Teil dieses Suffizienz Prinzips und der richtige Einsatz dieser Ressourcen dementsprechend wichtig und bildet die Brücke hin zu soziale Nachhaltigkeit. Soziale Nachhaltigkeit hat aber auch noch andere Gesichtspunkte: Nicht jeder User läuft mit der neuesten Generation an Handys oder Notebooks herum und kommt in den Genuss von beinahe unbegrenzten und super schnellen Jederzeit- und Überall-Internet und ist obendrein noch Technik affin. Diese eingeschränkte Personengruppe ist natürlich der Hauptumsatztreiber unserer Produkte und dementsprechend stark im Fokus - doch haben wir diese Gruppe mit unserer Art von Software nicht überhaupt erst erschaffen? Ist das nicht eher ein Henne-Ei-Problem? Durch die Fokussierung unserer Software auf diese Zielgruppe schließen wir einen beträchtlichen Teil von Menschen einfach aus oder verringern zumindest deren User Experience zum Teil stark.

Nachhaltigkeit heißt also für uns bewusst etablierte Prozesse und de facto Standards zu hinterfragen, ob diese noch zeitgemäß im Sinne des Nachhaltigkeitsgedankens sind, weil wir davon überzeugt sind, dass die IT seinen Teil dazu beitragen muss und auch kann, die Welt ein Stück weit besser zu machen.

Wieso hat es Nachhaltigkeit in der IT so schwer?

„Weils wurscht ist“ - oder zumindest „war“. Viele Dinge werden (leider) erst dann wichtig, wenn deren nicht Einhaltung zu (monetären) Verlusten führt. Bevor es nicht einmal so richtig in der Produktion gekracht hat, ist Qualitätssicherung maximal eine Vorgabe im Prozess. Erst, wer einmal ein Problem in Produktion miterlebt hat und deswegen weiß, welche Kosten und Schäden damit verbunden sind, der wird in Zukunft alles tun, damit diese Situation nie, nie wieder eintritt. Mit der Nachhaltigkeit ist es (leider) ähnlich: bis vor Kurzem (Corona, Energiekrise, Inflation, Klimakrise) gab es einfach nur wenig unmittelbaren Nutzen auf Nachhaltigkeit zu achten, es hat sich einfach nicht „ausgezahlt“. Erst in den letzten Jahren steigt langsam das Bewusstsein, dass „mehr Blech“ sicher nicht die beste Lösung ist, und auch nicht mehr die günstigste. Nachhaltige Lösungen sind gefragt, um Software ressourcenschonend betreiben zu können, denn Hosting und Stromkosten sind keine kleinen Posten mehr im Budget. Steigende Mitarbeitergehälter, sowohl in AT aber auch bei Off- und Nearshoring Partnern, gepaart mit dem Trend zu weniger Arbeitszeit, und der immer weiter steigende Mitbewerb am Markt bedingen den gezielten und richtigen Einsatz der Mitarbeiter. Slack oder falsch eingesetzte Ressourcen sind mittlerweile einfach zu teuer. Veraltete, starre Prozesse, die Change weitestgehend verhindern und den Status Quo sprichwörtlich einzubetonieren, und die weit verbreitete Eigenschaft von Menschen „Veränderung ist allem voran erstmal was Negatives“ arbeiten dem Thema Nachhaltigkeit aktiv entgegen.

Was also tun?

Nachhaltigkeit muss Einzug in unseren IT-Alltag halten, so wie vor vielen Jahren die Qualitätssicherung langsam aber stetig an Einzug gehalten hat. Noch bedeutet das, dass wir aktiv daran arbeiten müssen, um das Thema nicht aus den Augen zu verlieren, bis es sich so weit gefestigt hat, dass es „normal“ geworden ist. Es braucht diese enthusiastischen Typen, die immer wieder Fragen „ist das eigentlich Nachhaltig, was wir da machen?“ oder „wie können wir das nachhaltiger gestalten?“ und mit jeder Fragen kommen wir dem Ziel einen Schritt näher: Nachhaltigkeit ist weder „wurscht“ noch ist es „Wahnsinn“, es ist integraler und nicht wegdiskutierbarer Bestandteil der professionellen Softwareentwicklung!

Quellen und weiterführende Informationen

https://de.wikipedia.org/wiki/Nachhaltigkeit

https://chatgpt.com

Autor
SEQIS Autor Klemens Loschy

Klemens Loschy

Principal Consultant, Teamlead
IT Analyse, Softwaretest, Projektmanagement

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