Nachhaltigkeit vs. Fortschritt: Ist KI ein Umweltproblem?
von Martin Brandhuber
Künstliche Intelligenz (KI) hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt und durchdringt zunehmend verschiedene Bereiche unseres Lebens. Spätestens seit der Veröffentlichung des Textroboters ChatGPT von OpenAI ist KI in aller Munde. Ob in der Medizin, der Industrie oder dem Alltagsleben – KI-Technologien bieten enorme Chancen für Effizienzsteigerung und Innovation. Doch die zunehmende Verbreitung dieser Technologien hat auch eine entscheidende Kehrseite: Sie kann erhebliche Umweltbelastungen verursachen. Öffnen wir mit KI somit eine Büchse der Pandora?
Entwicklung der künstlichen Intelligenz
Die Wurzeln der künstlichen Intelligenz reichen bis in die 1950er Jahre zurück, als Wissenschaftler begannen, Algorithmen zu entwickeln, die menschliches Lernen und Problemlösungsverhalten nachahmen. In den letzten Jahrzehnten haben Fortschritte in der Rechenleistung und die Verfügbarkeit großer Datenmengen (Big Data) das maschinelle Lernen und insbesondere tiefe neuronale Netze (Deep Learning) revolutioniert. Heute sind KI-Modelle in der Lage, komplexe Aufgaben zu bewältigen, von der Bilderkennung bis hin zur Vorhersage von Krankheitsverläufen. Doch die leistungsfähigen Algorithmen erfordern immense Rechenkapazitäten, was zu steigenden Energieverbräuchen führt.
Zusätzlich zu diesen technologischen Fortschritten hat die Kommerzialisierung von KI-Technologien eine exponentielle Nachfrage nach Rechenleistung geschaffen. Unternehmen und Forschungseinrichtungen weltweit investieren in immer leistungsstärkere Hardware, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Dies hat zur Entstehung riesiger Rechenzentren geführt, die eine ununterbrochene Stromversorgung und Kühlung benötigen.
Warum ist KI deswegen ein Umweltproblem?
„Nachhaltigkeit” ist - leider - zu einem Modewort verkommen. Überall findet man Nachhaltigkeit, auf Milchpackungen genauso wie auf den Hinweisen von Spielsachen, auf Werbeseiten von Fluglinien und sogar in der Softwareentwicklung. Zur Definition von Nachhaltigkeit fragen wir Wikipedia:
„Nachhaltigkeit ist ein Handlungsprinzip bei der Nutzung von Ressourcen. Hierbei soll eine dauerhafte Bedürfnisbefriedigung gewährleistet werden, indem die natürliche Regenerationsfähigkeit der beteiligten Systeme bewahrt wird, vor allem von Lebewesen und Ökosystemen. Das Handlungsprinzip der Nachhaltigkeit ist ein Zielkonflikt, ein veränderlicher bestmöglicher Zustand, in dem es nicht möglich ist, die Ziel-Eigenschaft Ressourcennutzung zu verbessern, ohne zugleich die andere Eigenschaft des Ressourcen-Erhalts verschlechtern zu müssen. Im Allgemeinen wird Nachhaltigkeit heute als Form der Ressourcennutzung verstanden, die nach dem Drei-Säulen-Modell auf dem gleichzeitigen und gleichberechtigten Umsetzen von Umweltschutz, langfristigem Wirtschaften und einem fairen Miteinander beruht, damit auch zukünftige Generationen gut leben können.” [1]
Kurz gesagt, Nachhaltigkeit soll sicherstellen, dass das ökologische Gleichgewicht erhalten bleibt. Eine steigende Nutzung von Ressourcen geht also gleichzeitig mit einer Benachteiligung des Gleichgewichts einher.
Nun fragt man sich - Rechenzentren hat es doch schon früher gegeben, warum soll das auf einmal so schädlich für die Umwelt sein?
KI ist kein „fertiges Programm”, das einmalig entwickelt wird. Sie soll sich weiterentwickeln, soll lernen, soll trainiert werden - selbständig, durch die Erfahrungen mit InternetnutzerInnen, oder durch die gezielte Versorgung mit Testdaten. Und das benötigt Rechenleistung und somit Energie. Auch unabhängig davon verbraucht eine Anfrage etwa bei ChatGPT grob zehnmal so viel Energie wie eine Google-Suche.
„Rechenzentren verbrauchen heute vier bis fünf Prozent des weltweiten Energieverbrauchs“, sagte der Geschäftsführer des Hasso-Plattner-Instituts (HPI) in Potsdam und Leiter des Fachgebiets Künstliche Intelligenz und Nachhaltigkeit, Ralf Herbrich, der Nachrichtenagentur dpa. „Es gibt Schätzungen, dass der Verbrauch in den nächsten Jahren auf 30 Prozent ansteigen wird.“

Abbildung 1: (Quelle: Masanet et al. (2020), Cisco, IEA, Goldman Sachs Research)
Die Umweltbelastung durch KI-Technologien lässt sich auf mehrere Faktoren zurückführen:
1. Energieverbrauch von Rechenzentren
Moderne KI-Anwendungen basieren auf rechenintensiven Prozessen, die in leistungsfähigen Rechenzentren durchgeführt werden. Diese Rechenzentren benötigen enorme Mengen an Energie, um sowohl die Server zu betreiben als auch die notwendige Kühlung zu gewährleisten. Das Training des „Generative Pre-trained Transformer 3” (GPT-3) Sprachmodells von OpenAI, welches Deep Learning verwendet, benötigte beispielsweise 1.287 Megawattstunden Strom - das entspricht dem Verbrauch einer Kleinstadt über mehrere Monate (Beispiel: Klein-Neusiedl; ca. 1.000 Einwohner). Die dabei entstandenen CO2-Emissionen entsprachen etwa 700 Hin- und Rückflügen von Wien nach Dubai. Der Nachfolger, GPT-4, benötigte 6 Monate Training und verbrauchte dabei sogar 7.200 Megawattstunden - das 5,5-fache seines Vorgängers! Google möchte bis zum Jahr 2030 unterm Strich klimaneutral sein. Aus diesem Grund sollen KI-Rechenzentren künftig mit kleinen modularen Atomkraftwerken betrieben werden, bis 2035 soll die jährliche Leistung 500 Megawatt erreichen. Nachhaltigkeit durch Atomstrom?
2. Ressourcenverbrauch und CO2-Emissionen
Die Herstellung der Hardware für KI-Systeme erfordert seltene Erden und andere Rohstoffe, deren Abbau oft mit erheblichen Umweltschäden verbunden ist. Zudem erzeugt der Betrieb von KI-Modellen erhebliche CO2-Emissionen, insbesondere wenn der Strom aus fossilen Quellen stammt. Selbst in Regionen mit erneuerbarer Energie besteht das Problem, dass der steigende Strombedarf die Energiewende verlangsamen könnte. Eine Studie der Universität Massachusetts ergab, dass das Training eines einzigen großen KI-Modells mehr als 284 Tonnen CO2 emittieren kann – das entspricht dem fünfmaligen CO2-Ausstoß eines durchschnittlichen amerikanischen Autos über dessen gesamte Lebensdauer.
Ein weiteres Problem ist der Wasserverbrauch. Rechenzentren benötigen große Mengen an Wasser zur Kühlung, was in trockenen Regionen zu ernsthaften Wasserknappheiten führen kann. Ein aktuelles Thema dazu sind die Waldbrände in Südkalifornien, welche seit dem 7. Jänner 2025 wüten, wo die Wasserknappheit zu erheblichen Problemen bei der Bekämpfung der Brände führt. Ironischerweise sind in Kalifornien auch große Rechenzentren angesiedelt, etwa von Google, die das Grundwasser zusätzlich belasten.
3. E-Waste und kurze Innovationszyklen
Technologische Fortschritte führen dazu, dass Hardware-Komponenten immer schneller ersetzt werden müssen. Alte Server, Prozessoren und GPUs werden entsorgt, was zu wachsendem Elektroschrott führt. Da viele dieser Materialien schwer zu recyceln sind, entstehen zusätzliche Umweltprobleme. Darüber hinaus sind die Lebenszyklen von KI-Technologien oft sehr kurz. Neue Modelle und Algorithmen erfordern oft spezialisierte Chips, die ältere Generationen schnell obsolet machen. Dies führt zu einem noch schnelleren Austausch der Hardware, was den Ressourcenverbrauch weiter erhöht.
Nutzen und Kosten von KI aus ökologischer Sicht
KI-Technologien können jedoch auch zur Lösung von Umweltproblemen beitragen. Daher stellt sich die Frage, ob der Nutzen den ökologischen Schaden überwiegt.
Nutzen von KI für die Umwelt
- Optimierung von Energieverbrauch: KI kann dabei helfen, Stromnetze effizienter zu steuern und den Energieverbrauch in Unternehmen und Haushalten zu reduzieren.
- Nachhaltige Landwirtschaft: Durch präzise Analysen können KI-Modelle Landwirten helfen, Wasser und Düngemittel effizienter einzusetzen.
- Früherkennung von Umweltproblemen: KI-gestützte Sensoren können Umweltveränderungen frühzeitig identifizieren und Katastrophen wie Waldbrände, Erdbeben oder Tsunamis vorhersagen.
- Kreislaufwirtschaft: KI kann Materialströme optimieren und so Recyclingprozesse verbessern.
- KI im Umweltschutz: Google selbst nutzt das Unternehmen DeepMind KI, um den Energieverbrauch seiner Rechenzentren um 40 % zu reduzieren.
Kosten und Risiken
Steigender Energiehunger: Die Fortschritte in der KI führen dazu, dass immer leistungsfähigere Modelle trainiert werden müssen, was den Energiebedarf weiter erhöht.
Mangelnde Transparenz: Es gibt bislang wenige Standards für die Nachhaltigkeit von KI-Anwendungen, was es schwierig macht, ihren ökologischen Einfluss zu bewerten.
Abhängigkeit von Rohstoffen: Der steigende Bedarf an Hochleistungs-Hardware erhöht die Nachfrage nach seltenen Erden und anderen kritischen Rohstoffen.
Lösungsansätze für eine nachhaltige KI
Um das Spannungsfeld zwischen Fortschritt und Nachhaltigkeit zu entschärfen, sind verschiedene Maßnahmen notwendig:
Energieeffiziente KI-Modelle
Die Forschung an effizienteren Algorithmen kann dazu beitragen, den Rechenaufwand zu senken. Beispielsweise können prädiktive Modelle zur Energieeinsparung beitragen oder sparsamer programmierte neuronale Netze verwendet werden.
Einsatz erneuerbarer Energien
Rechenzentren können verstärkt auf erneuerbare Energien setzen, um ihren CO2-Fußabdruck zu minimieren. Einige Tech-Unternehmen investieren bereits in nachhaltige Stromquellen, doch hier gibt es noch viel Potenzial.
Verlängerte Lebensdauer von Hardware
Durch Recycling und Wiederverwendung können wertvolle Rohstoffe eingespart werden. Unternehmen sollten zudem auf langlebigere Hardware setzen und die Innovationszyklen verlängern.
Bewusste Nutzung von KI
Nicht jede Anwendung muss auf komplexen neuronalen Netzen basieren. Häufig reichen einfachere, weniger rechenintensive Modelle aus, um eine Aufgabe zu bewältigen. Unternehmen sollten prüfen, in welchen Fällen eine ressourcenintensive KI wirklich notwendig ist.

Abbildung 2: (Quelle: x.com)
Müssen wir wirklich jedes Mal eine KI befragen, wenn wir nach etwas suchen? Und auch wenn wir keine KI fragen, müssen wir wirklich eine Suchmaschine öffnen? Haben Lexika, Wörterbücher und Atlanten wirklich keine Daseinsberechtigung mehr?
Regulierung und Transparenz
Politische Entscheidungsträger können Nachhaltigkeitsstandards für KI entwickeln und Unternehmen dazu verpflichten, ihre Umweltauswirkungen offenzulegen. Dadurch könnten nachhaltigere Innovationen gefördert werden.
Ausblick: Die Zukunft der nachhaltigen KI
Ist KI somit gesehen ein Umweltproblem? Die Antwort lautet: ja. Aber sie ist ein Problem, dem entgegengewirkt werden kann, und die Debatte darüber sollte intensiviert und Verbesserungen dringend erarbeitet werden. Eine nachhaltige KI ist möglich – doch sie erfordert bewusstes Handeln und eine langfristige Strategie. Nur so kann sichergestellt werden, dass der Fortschritt nicht auf Kosten der Umwelt geht, sondern im Einklang mit ihr steht. Und dazu müssen wir zuallererst unsere eigene Einstellung zu KI hinterfragen. Wollen wir ChatGPT nur benutzen, nur weil es gerade “in” ist? Müssen wir wirklich einen “smarten” Thermostat kaufen? Oder reicht es, selber die paar Schritte zum Heizkörper zu machen, und währenddessen in einem Lexikon nachzuschlagen?

Quellen und weiterführende Informationen
[1] https://de.wikipedia.org