Push Remote Services durch Augmented Reality

Seit wann gibt es Augmented Reality?

Die Idee von Augmented Reality (= AR) ist bereits älter, als wir glauben würden. Bereits im frühen 20. Jahrhundert gab es Science-Fiction Geschichten, in denen von virtuellen Realitäten mithilfe von Brillen geträumt wurde. Im Jahre 1965 präsentierte Ivan Sutherland das erste echte Head Mounted Display der Welt.
Dabei wurden geometrische Formen direkt ins Sichtfeld projiziert, welche sich synchron zur Kopfbewegung bewegten. Das Gerät war so groß, dass es mithilfe einer Vorrichtung an der Decke des Raums befestigt werden musste, damit man beim Tragen nicht davon erschlagen wurde. Dadurch hat es den Namen „Schwert des Damokles“ erhalten. Es sollte jedoch bis 2008 dauern, als die ersten Smartphones es ermöglicht haben, AR dem Massenmarkt näherzubringen. In diesem Jahr wurde die erste mobile AR App veröffentlicht. Es handelt sich dabei um Wikitude. Bei der App konnte man über die eingebaute Kamera des Smartphones die Umgebung betrachten, welche durch zusätzlich eingeblendete Informationen ergänzt wurde. 

Seitdem hat sich der Markt rasant weiterentwickelt. Es gibt AR-Spiele für Smartphones wie beispielsweise Pokémon Go oder dessen Vorgänger Ingress, AR-Apps wie beispielsweise eine App eines bekannten Einrichtungsunternehmens, bei dem man in den eigenen vier Wänden Möbelstücke virtuell platzieren kann und sogar Automobilhersteller arbeiten bereits an einem Heads-up-display mit 3D- und AR-Features.

Abbildung 1: Pokemon Go (Quelle: Stefan Schweihofer auf Pixabay)

Was ist der Unterschied zwischen Augmented Reality und Virtual Reality?

AR wird oftmals mit Virtual Reality (= VR) gleichgesetzt, dabei gibt es einen klaren Unterschied. VR beschreibt eine vollständig virtuelle Welt, in die man eintaucht. Beispielsweise mittels einer VR-Brille. AR hingegen, erweitert die echte Welt mit virtuellen Inhalten. Solche Anwendungen können mithilfe eines Smartphones/Tablets und dessen integrierter Kamera oder auch AR-Brillen, wie Google Glass verwendet werden. Fälschlicherweise wird oft angenommen, dass das Projekt Google Glass gescheitert ist und bereits lange aufgegeben wurde. Das stimmt jedoch nicht ganz. Denn die AR-Brille wird durchaus im Business Bereich eingesetzt, wenn auch nur im kleinen Rahmen und darf seit 2020 auch wieder verkauft werden. Damit richtet sich Google jedoch nicht an Endverbraucher, sondern nach wie vor an Entwickler. Außerdem gibt es mittlerweile eine Vielzahl unterschiedlichster AR-Brillen auf dem Markt.

Abbildung 2: (Quelle: Pexels.com - Tima Miroshnichenko)
Abbildung 3: (Quelle: Pexels.com - fauxels)

Remote Services durch Augmented Reality in der Industrie

Wir schrieben das Jahr 2020. Die Corona-Krise hatte die Welt im Griff und wo es nur ging, wurde Mitarbeitern Home-Office ermöglicht. Der soziale Kontakt fand überwiegend digital statt. Auch, wenn diese Krise mittlerweile langsam verebbt, die Anstöße für mehr Digitalisierung wurden gegeben und werden weiterverfolgt. Denn auch abseits der Krise bieten neue Entwicklungen zu Remote Services und AR Vorteile bei der täglichen Arbeit, wie auch im Privatleben.

Diese Technologie bietet den Vorteil, dass Service-Techniker sämtliche Arbeitsschritte zur Wartung oder Reparatur einer Maschine eingeblendet bekommen, anstatt lange in einer Dokumentation nachzuschlagen oder allein auf ihre Erfahrung zurückgreifen zu müssen. Verwenden sie eine Datenbrille, haben sie sogar beide Hände frei, um die notwendigen Tätigkeiten durchzuführen. Außerdem können sie die Ergebnisse via Sprachbefehl mitteilen und dementsprechend neue Anweisungen bekommen, mit denen als nächstes fortgefahren werden soll. Die Dokumentation der Arbeit erfolgt über Video- und Audioaufnahmen. Stehen sie vor einem schwerwiegenderen Problem, kann direkt mit einem oder auch mehreren ExpertenInnen Kontakt aufgenommen werden. So kann gemeinsam an einer Lösung gearbeitet, Dokumentation durchforstet und weitere Arbeitsanweisungen gegeben werden. Sollten Ersatzteile benötigt werden, können diese auch direkt ohne großen Aufwand nachbestellt werden. Genauso können dieselben Funktionen zum Schulen neuer MitarbeiterInnen verwendet werden. Mehrere MitarbeiterInnen an verschiedenen Standorten sind verbunden mit einem Ausbilder, welcher ihnen alles notwendige erklärt. Dies hat auch den Vorteil, dass sie das gelernte direkt anwenden können und so aktiv Erfahrung sammeln. 

Somit lassen sich die Vorteile für Remote Services mit AR wie folgt zusammenfassen:

  • Wegfall von Arbeitswegen
  • Effizientere Lösung von Problemen
  • Förderung der Kommunikation
  • Effizientere Dokumentationsarbeit
  • Besserer Lerneffekt bei Einschulungen

Großes Potenzial für Gesundheits- und Pflegesektor

Nicht nur in der Industrie, sondern auch im Gesundheits- und Pflegesystem kann durch Remoteservices mithilfe von AR profitiert werden. Beispielsweise wurden im niederländischen Pflegeheim TanteLouise Datenbrillen angeschafft, um Medikamentenfehlgaben mithilfe von AR zu reduzieren. Mithilfe der Datenbrille wurde der gesamte Prozess der Verteilung sowie Verabreichung von Medikamenten begleitet und digitalisiert. Dabei konnten auch neue Anwendungsfälle in diesem Bereich identifiziert werden, wie zum Beispiel die gemeinsame Betrachtung von Wunden mit den behandelnden ÄrztInnen. Außerdem können die so gewonnen Daten über Computer oder auch mobilen Endgeräten abgerufen werden. Wie auch schon vorher im Beispiel aus der Industrie, kann die Dokumentation um einiges erleichtert werden. Beispielsweise könnten schmerzende Stellen am Patienten ohne Körperkontakt gekennzeichnet werden und Notizen mithilfe von Spracherkennung oder einer virtuellen Tastatur erstellt werden. 

Dies kann auch einen positiven Effekt auf die Patienten haben. Es kann vorkommen, dass Pflegepersonal scheinbar nur vorbeikommt, um eine Liste von Tätigkeiten abzuarbeiten. Dadurch könnten sich Patienten als eine Last empfinden. Zusätzlich zum körperlichen Wohlbefinden, sorgen sich Pflegekräfte auch um das psychische Wohlergehen ihrer Patienten und soziale Interaktion spielt bei der Betreuung eine ebenso große Rolle, vor allem bei der Alterspflege. Eine Erleichterung der Belastungsfaktoren des Personals bietet somit ein Potenzial für eine bessere Versorgung. 

Unter anderem arbeiten und testen auch TeamViewer, von denen es bereits AR-Lösungen für Business Use Cases gibt, in Kooperation mit der Wilhelmshilfe und Wirtschaftsförderung in Deutschland an AR-Lösungen in der Pflege.

Unterstützung im Alltag

In meiner Recherche bin ich auch über ein erwähnenswertes Projekt gestoßen. Das europäische „Active and Assisted Living“ (kurz AAL)-Projekt DayGuide und das darauf aufbauende Projekt FreeWalker.

Abbildung 4: FreeWalker (Quelle: https://www.alzheimerhilfe.at/sichere-bewegung-fuer-menschen-mit-demenz/)

DayGuide soll ältere Personen mit speziellen Bedürfnissen, wie z.B.: frühe Stadien der Demenz oder leichten kognitiven Störungen sowie Angehörige im Alltag unterstützen. Die drei Hauptfunktionen von Dayguide sind:

  • Neuartige, orts-spezifische Erinnerungsfunktionen und Anleitungen
  • Eine web-basierte soziale Plattform mit der Möglichkeit der Kommunikation und des Organisierens von wichtigen Tätigkeiten
  • Ein einfacher Zugriff mittels Smartphones/Smartwatch oder Tablet

Ziel dabei ist es auch im hohen Alter ein unabhängiges und selbstbestimmtes Leben zu fördern. Aufbauend darauf hat sich FreeWalker zum Ziel gesetzt, die Klienten dazu befähigen, sich im Freien allein und sicher zu bewegen oder sich überhaupt wieder nach draußen zu wagen. Dazu gehört unter anderem das eigenständige Wahrnehmen von Terminen beim Arzt oder Friseur, aber auch das Treffen mit Freunden, um die soziale Inklusion zu fördern. 

Die Hauptfunktionen dabei sind:

  • Einrichten von Safezones und No-Go Zones in Abstimmungen mit dem KlientIn
  • Festlegen von sicheren Korridoren, falls Termine außerhalb der Safezone liegen
  • Notfallsystem, welches den KlientIn auf das Verlassen einer Safezone hinweist und Unterstützung anbietet. 

Erwähnenswert ist auch, dass die Notfallkette nur dann in Kraft gesetzt wird, wenn es der Klient bestätigt oder nicht reagiert. Dies soll die Selbstbestimmtheit fördern und einer Totalüberwachung entgegenwirken.

Abschließende Worte

Remote Services durch AR beziehungsweise AR selbst, ist ein sehr spannendes Thema, welches in den letzten Jahren einen verstärkten Aufschwung erlebt hat. Sei es durch neuere, schnellere Technologien oder auch neue Situationen und Krisen, die es zu bewältigen gilt. Wieder einmal bewahrheiten sich die Worte „Geht nicht, gibt’s nicht!“ und wenn ist es eher ein „Geht noch nicht (ganz).“ 

Die Anwendungsfälle sind weitläufig und die Technologie kann sehr vielfältig eingesetzt werden. In bestimmten Sektoren, limitiert vor allem der finanzielle Faktor die Geschwindigkeit der Entwicklung und Etablierung. Denn letztendlich muss dafür jemand auch Geld bezahlen. In Zukunft wird AR immer mehr Bedeutung in unserem Alltag bekommen und früher oder später kaum mehr wegzudenken sein. 

Abschließend möchte ich den Ur-Vater der Virtual Reality Ivan Sutherland zitieren. Dieser hat einen interessanten Vergleich bezüglich VR angestellt, welcher meiner Meinung nach auf AR genauso, wenn nicht sogar noch mehr zutrifft.

„Als Gutenberg die Buchpresse erfand, hatte er nur ein Buch, das er drucken konnte: Die Bibel. Es musste erst die Novelle erfunden werden, um die Buchpresse in Gang zu bringen. Inhalte sind eben alles. (…) Es sind die großen Kreativ-Leute, die Inhalte produzieren, die den Menschen neue Technologien näherbringen.“

Quellen und weiterführende Informationen:  

Informationen über die Geschichte VR/AR und Ivan Sutherland: https://t3n.de/news/groesste-vr-brille-welt-741784/

Informationen über Google Glass: https://mixed.de/google-glass-2-datenbrille-verkauf/

Informationen zu Entwicklungen im Pflege-Sektor:

Allgemein: https://explore.iteratec.com/blog/medical-care-glasses-mit-augmented-reality-die-zukunft-der-pflege-gestalten

Allgemeine Informationen und im speziellen über Anschaffung von Datenbrillen im niederländischen Pflegeheim TanteLouise https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/user_upload/Pflege_4.0_final.pdf

Informationen über TeamViewer und Kooperation mit Wilhelmshilfe und Wirtschaftsförderung: https://www.teamviewer.com/de/unternehmen/presse/teamviewer-wilhelmshilfe-und-wirtschaftsfoerderung-goeppingen-starten-pilotprojekt-fuer-ar-basierte-loesungen-in-der-pflege/

Informationen über DayGuide App: https://iktderzukunft.at/de/projekte/dayguide-intelligente-orientierungshilfe-im-alltag.php

Informationen über FreeWalker App: https://www.myneva.eu/de-de/innovation-und-forschung/free-walker 

Info über die erste mobile AR App: https://www.wikitude.com

Autor
SEQIS Autor Andreas Steiner

Andreas Steiner
Senior Consultant
Testautomation, Testdurchführung, Softwarequalitätssicherung, Requirements Engineering

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